Es wird scho glei dumpa

Ich beneide ja jene Läufer, die es schaffen, sich für vier Uhr den Wecker zu richten (das wäre noch nicht das große Problem), den vom Wecker verursachten Lärm zu hören (auch das schaffe ich), als Reaktion darauf dann aber auch aufzustehen und laufen zu gehen (oft probiert, fast nie geschafft). Die mit Morgenläufen einhergehenden Benefits liegen auf der Hand – das ist eine Zeit, in der man im Normalfall ungestört seinem Hobby nachgehen kann, man wäre bereits vor dem Frühstück mit dem Training fertig und müsste nicht darum kämpfen, sich irgendwann ein oder zwei Stunden freizuschaufeln, um den geplanten Lauf unterzubringen. Leider bin ich dazu nicht in der Lage. Selbst wenn ich ausreichend geschlafen habe, funktioniere ich in den frühen Morgenstunden motorisch noch nicht einwandfrei (und das ist eigentlich eine schmeichelhafte Untertreibung). Tagsüber geht es sich aufgrund der diversen Verpflichtungen (Beruf, Familie, Sonstiges) meistens nicht aus, bleibt also nur mehr jener Teil des Tages übrig, der am späten Nachmittag beginnt. Ich bin also – üblicherweise – ein Abendläufer. Das ist im Sommer nicht so das Problem, weil da ist es bekanntermaßen lange oder zumindest länger hell. Im Frühfrühling, Spätherbst und kompletten Winter bedeutet das aber, dass ich großteils bei Dunkelheit laufe. In den vergangenen ein bis zwei Jahren habe ich erkannt, dass das aber nicht zwingendermaßen bedeutet, immer entlang beleuchteter Gassen und Straßen laufen zu müssen (was nämlich keinen allzu großen Reiz hat). Um eine Alternative dazu – nämlich um das Laufen bei Dunkelheit im Wald – soll es hier nun gehen.

Mein erster Versuch diesbezüglich hat – wenn ich mich richtig erinnere – im Winter 2020/2021 stattgefunden. An einem ziemlich nebeligen Nachmittag nach Einbruch der Dunkelheit dachte ich mir, dass aufgrund der „Helligkeit“ des Nebels doch eigentlich nichts gegen meine Standardrunde, die großteils durch die Lobau führt, sprechen würde. Und das sollte sich als keine schlechte Idee herausstellen. In jenen Wintermonaten habe ich ein paar Läufe bei Dunkelheit im Wald absolviert, auch ohne Nebel, und das hat jeweils recht gut funktioniert. Im Sommer 2021 sollten dann einige Läufe am frühen Abend beginnen und spätabends, also bei Dunkelheit, enden. Auch das waren großteils positive Erlebnisse. Und im letzten Herbst habe ich mir dann endlich eine Stirnlampe zugelegt und bin den ganzen Winter hindurch relativ oft bei Dunkelheit kreuz und quer durch die Lobau gelaufen. Grundsätzlich kann ich das durchaus empfehlen, zumindest wenn man nicht allzu schreckhaft ist. Nichtsdestotrotz habe ich im Zuge dieser Läufe einige Eindrücke gewonnen, die teilweise gewöhnungsbedürftig bis grenzwertig waren. Nachfolgend ein paar Anekdoten, Erfahrungen und Überlegungen…

Fauna: Meine Waldläufe bei Dunkelheit finden eigentlich ausschließlich in der Lobau statt. Dort sind ja recht viele Viecher daheim und in der Nacht wagen diese sich aus ihren Verstecken heraus. Rehe und Hasen sieht man quasi immer, Füchse regelmäßig (erst letzte Woche ist auf einmal ein Riesenexemplar plötzlich direkt neben mir gestanden und hat mich angeschaut…huch!), Marder und vor allem Dachse eher selten. Bei Eulen und anderen Vögeln müsste man – na no na net – dauernd raufschauen, was ich natürlich nicht tue, insofern kann ich mich nur an ein oder zwei Eulensichtungen erinnern. Habichte, Bussarde, Falken usw. sieht man meiner Erfahrung nach eher am Tag, offenbar sind die nicht wirklich nachtaktiv. Im Spätfrühling/Frühsommer sollte man entlang der Vorwerkstraße (das ist die mehrere Kilometer lange, asphaltierte Straße, die quer durch die Lobau führt) brems-, duck- und sprungbereit unterwegs sein, weil zu dieser Zeit in den Abendstunden (kurz bevor es dunkel wird) Mai- und Hirschkäfer wie wahnsinnig herumschwirren und es nicht immer schaffen, rechtzeitig auszuweichen. Warum die ausgerechnet dort anzutreffen sind, weiß ich nicht, aber vielleicht brauchen die Jungkäfer baumfreien Platz um ihre Flugübungen zu machen, keine Ahnung. Jedenfalls sind das ziemlich dicke Brummer und Kollisionen können durchaus unangenehm sein. Zur selben Jahreszeit, aber ein wenig später, also wenn es bereits dunkel ist, kann es passieren, dass man am Waldrand hunderte (vielleicht sogar tausende, sie sind schwer zu zählen) meiner Lieblingslaufbegleiter sieht, Glühwürmchen! Über die freue ich mich jedes Mal. Und dann gibt es noch Wildschweine und bei denen wird mir manchmal doch ein wenig mulmig zumute. Im Frühling sollte man den Wildschweinmamas aus dem Weg gehen, weil diese möglicherweise auf die Idee kommen könnten, ihre Frischlinge verteidigen zu müssen. Das könnte unschön enden. Und im Herbst und Winter sind die Eber „rauschig“, tragen also ihre Revierkämpfe aus und bringen sich in Position für die Wildschweindamenwelt. Auch dabei sind Eindringlinge und Zuseher unerwünscht. Mir sind keine Zwischenfälle bekannt und jedes Wildschwein, das ich bisher in der Lobau gesehen habe, hat mich entweder gleichgültig zur Kenntnis genommen oder ist geflüchtet. Trotzdem habe ich bei Wildschweinen schon eher ein ungutes Gefühl. Letzten Winter zum Beispiel habe ich aus dem Unterholz unmittelbar neben mir ein recht eindringliches Grunzen vernommen – möglicherweise war das eine Warnung, möglicherweise hatte das mit meiner Anwesenheit nichts zu tun. Ich werde es niemals erfahren, kann aber trotzdem ganz gut auf solche Zwischenrufe verzichten.

Untergrund: In Normalfall wird man bei Dunkelheit wohl auf Wegen unterwegs sein, die man bei Tageslicht schon viele Male belaufen hat – die Orientierung sollte also kein wirkliches Problem sein. Eine Stirnlampe ist aber dennoch oft unverzichtbar, nämlich um Fehltritte zu vermeiden. Jeder, der im Winter schon mal bis zum Knöchel in einer Gatschlacke versunken ist, wird bestätigen können, dass das nicht unbedingt lustig ist. Und für Potscherl wie mich, für die die Gefahr des Umkippens, Stolperns und Ausrutschens verlässlich mitläuft, ist das rechtzeitige Erspähen von potentiellen Gefahrenstellen (ein Stein, eine Wurzel, eine glatte Stelle, was auch immer) auch nicht unwesentlich.

Gruseligkeit: Alleine bei Dunkelheit im Wald herumzuirren ist für manche eher ein Horrorszenario als das Setting für einen entspannten Lauf. Ich selbst bin diesbezüglich relativ gelassen, kann aber schon verstehen, dass anderen ein wenig bange zumute ist. Horrorfilm würde ich mir vor einem Abendlauf im Wald aber eher keinen anschauen – die Fantasie muss nicht noch zusätzlich beflügelt werden. Und eines muss einem klar sein: wenn es sich nicht gerade um eine wolkenfreie Vollmondnacht handelt, ist es im Wald in der Nacht finster…wirklich finster. Und selbst wenn der Mond hell leuchtet, dringt dessen Licht eher nicht durch, sobald sich das Blätterdach über einem schließt. Dessen muss man sich bewusst sein. Ohne Stirnlampe in diese Dunkelheit einzutauchen, kann unter Umständen beklemmend sein. Hierzu eine kleine Anekdote: An einem lauen Abend im Sommer 2021 bin ich recht spät zu meinem Lauf aufgebrochen, ohne Stirnlampe, weil beim Weglaufen war es noch nicht finster und der Mond sollte dann später ohnehin genügend Licht spenden. Ich also rein in die Lobau und zwar in Richtung Josefsteg. Allerdings bin ich kurz vor dem Josefsteg links abgebogen, um entlang der Panozzalacke zu laufen. Diese Strecke beinhaltet circa einen Kilometer auf recht schmalen, gewundenen, unbefestigten Wegen mitten durch den Wald durch. So, und jetzt bin ich außerdem jemand, der meistens mit Musik im Ohr unterwegs ist. Vor zwei oder drei Jahren habe ich meine Vorliebe für die härtere Gangart wiederentdeckt und um nicht immer die selben Lieder und Alben zu hören, habe ich an jenem Abend so eine Apple-Playlist gehört – ich glaube, die hieß Metal Classics oder so ähnlich. Und diese Liste hat (zunächst!) gehalten, was sie versprochen hat, mit Sachen von Black Sabbath, Judas Priest, Iron Maiden…die alten Hadern eben. Dann war plötzlich die Musik weg, weil ich offenbar kurz keine Internetverbindung hatte und der Stream sozusagen versiegte. Wenige Minuten später, exakt in der Sekunde, als ich die zuvor beschriebene Abzweigung genommen habe, als ich also ohne Stirnlampe von der Dunkelheit verschluckt wurde, hat das Streaming wieder funktioniert. Und es gab einen unerwarteten Stilwechsel. Plötzlich wurde ich nämlich von Mayhem beschallt, also von jenen Protagonisten der Second Wave of Black Metal, die Anfang bis Mitte der 1990er für Furore bzw. eher Angst und Schrecken (je nach Standpunkt und Sichtweise) sorgten. Falls jemand mit Black Metal nichts anfangen kann: das ist ein recht extremes Metal-Subgenre, in dem gerne mit Satanismus in seinen verschiedenen Ausprägungen kokettiert wird. Wie ernst das zu nehmen ist, sei mal dahingestellt – meistens (nicht immer, siehe unten) handelt es sich wohl eher um Effekthascherei – aber die Musik ist so oder so düster, beklemmend, furchteinflössend, hasserfüllt. Also eher nix Schönes. Ich mag das überhaupt nicht. Die damaligen Mitglieder bzw. das Umfeld dieser Band, also von Mayhem, haben die Black Metal-Attitüde jedenfalls recht konsequent durchgezogen und haben ihren Worten Taten folgen lassen. Das Spektrum reichte von Brandstiftungen in Kirchen bis hin zu Morden (also in echt jetzt). Und mit der Musik von diesen Herrschaften wurde ich also in diesem Moment, in dem mir quasi schwarz vor Augen wurde, beschallt. Der langen Rede kurzer Sinn: da ist es dann auch mir vergangen, ich hab den dunklen Pfad schnellstmöglich hinter mich gebracht und musikalisch habe ich umgehend einen Wechsel zu fröhlicheren Klängen vollzogen – irgendwann hört sich der Spaß dann doch auf. Abgesehen von dieser Episode hatte und habe ich aber kein Problem mit der Dunkelheit. Die Dämmerung, also jene Phase kurz bevor es ganz dunkel wird, ist meiner Meinung nach allerdings ein wenig hundiger. Wahrscheinlich liegt es daran, dass die diversen Schatten (in und wegen der Vegetation), die das Resttageslicht wirft, recht vielfältig und facettenreich sind. Jedenfalls spielt mir persönlich in dieser Zeit meine Fantasie durchaus hin und wieder den einen oder anderen Streich. Vor ein paar Monaten hätte ich während eines Laufes in der Lobau (in der Endphase der Abenddämmerung) für einen Augenblick schwören können, dass beringelsockte Beine von einem Baum runterhängen. Auf den zweiten Blick war es dann aber doch nur ein Farn. 🙂

Einsamkeit: Das ist jetzt so eine Sache. Natürlich ist man beim Laufen am späten Nachmittag oder am Abend (jedenfalls bei Dunkelheit) im Wald meistens ziemlich alleine. Wenn es einen also – um den Teufel jetzt mal an die Wand zu malen – aufplattelt, und man haut sich den Kopf an und liegt bewusstlos am Boden, vielleicht auch noch im Winter, kann das schon zum Problem werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass zufällig jemand des Weges kommt, ist nämlich relativ klein. Wegen solcher Überlegungen, und wegen des bereits durchgekauten Gruselfaktors, kann die Einsamkeit im dunklen Wald schon eine Hürde sein, über die man mal drüberkommen muss. Einerseits. Damit habe ich persönlich allerdings nicht so das große Problem. Andererseits kann es einen schon reißen, wenn dann plötzlich, quasi aus dem Nichts kommend, doch jemand vor einem steht. Im besten Fall ist das halt auch so ein Spinner wie man selbst. Im schlechtesten Fall jemand mit nicht so guten Absichten. Im letzten Winter, während eines harten Lockdowns (möglicherweise war das der letzte, ich weiß es nicht mehr), bin ich plötzlich vor einer Gruppe junger Männer gestanden, die sich offenbar zum Tschechern beim Donau-Oder-Kanal getroffen haben. Vermutlich wollten sie ungestört sein. Im Endeffekt denke ich mir, dass man so ganz grundsätzlich durchaus von wohlwollenden, friedfertigen Mitmenschen ausgehen kann, ich bin halt ein lebensbejahender Optimist. Aber eine leise Stimme in mir flüstert trotzdem vor sich hin, dass es halt leider auch böse Menschen gibt. Ich verstehe jedenfalls voll und ganz, wenn einem solche Zufallsbegegnungen nicht so ganz geheuer sind. Und das als Mann. Für Frauen besteht in solchen Fällen aus den leider offenkundigen Gründen ein noch viel größeres Gefährdungspotential.

So, und jetzt ist vorerst auch dieses Thema abgehandelt. Was kann man daraus lernen? Naja, nix eigentlich. Ob diese Variante des Laufsports etwas für einen selbst ist, ist sicher eine individuelle Entscheidung. Pros und Kontras gibt es genug. Ich freue mich jedenfalls auf die bald eintrudelnde Lieferung einer neuen, vermeintlich besseren Stirnlampe. Sobald ich diese in meinen Händen halte bzw. mir auf den Kopf schnallen kann, geht es wieder mal in die Lobau. Am Abend. Ich freu mich schon drauf!

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert