Wenn jemand eine Reise tut…

Für das neue Jahr ist geplant, dass ich mich in Bezug auf das Reisen wieder dem vorpandemischen Zustand annähere. Als junge/r Doktoratsstudent/in wird man im Normalfall eher selten auf Konferenzen fahren dürfen, man hat ja auch noch nicht so viel zu berichten, aber ab der Zeit als Postdoc geht es dann los – zumindest war das bei mir so. Ich müsste jetzt in meinen Archiven graben, um die genauen Zahlen zu eruieren, aber zwischen 2010 und 2019 war es eigentlich üblich, dass ich zwischen fünf und zwölf Mal pro Jahr zu Meetings, Workshops und Konferenzen gefahren bin. Anfang 2020 bin ich dann noch zwei Mal ins Ausland gereist, beim zweiten Mal Anfang März schon mit einem unguten Gefühl, weil da ging es in Italien los mit den Schreckensmeldungen, und dann war es für zwei Jahre mal vorbei (aus den allseits bekannten Gründen). Letztes Jahr hat es mich im Frühjahr selbst mit Corona erwischt, mit eher mühsamen Wochen danach, was mich veranlasst hat, vor lauter Frust die zwei oder drei geplanten Konferenzreisen wieder abzusagen. Heuer scheint es aber keine pandemiebedingten Einschränkungen mehr zu geben (weder in persönlicher, noch in internationaler Hinsicht) und sofern es das Reisebudget meines Instituts zulässt – diesbezüglich sieht es allerdings aufgrund der angespannten Situation an den Unis gerade weniger rosig aus – werde ich wohl ein bis drei Konferenzen auswählen, auf denen ich versuchen werde, mich wichtig zu machen.

Jetzt die Frage aller Fragen: Bringt das denn irgendetwas? Der letzte Satz im ersten Absatz deutet die Antwort auf diese Frage ja schon an, weil diesen launig wirkenden Satz habe ich durchaus ernst gemeint. Als Forscher ist man in vielerlei Hinsicht auf seine Reputation angewiesen. Diese kann entscheidend sein, wenn es darum geht, dass Publikationen angenommen werden (oder nicht) oder dass Forschungsprojekte bewilligt werden (oder nicht). Wie schon einmal kurz erwähnt, hängt das alles zusammen. Und weil Konferenzen gute Gelegenheiten sind, mit Gleichgesinnten oder möglicherweise auch mit den wissenschaftlichen „Gegnern“ ins Gespräch zu kommen, bestehende Kontakte zu pflegen oder bei den Big Shots des jeweiligen Feldes vorstellig zu werden, ist es wichtig, gute und vor allem interessante Vorträge zu halten, kritische Fragen souverän zu beantworten, bei den Diskussionen nach den Vorträgen gute Fragen zu stellen, in den Kaffeepausen präsent zu sein, am Conference Dinner teilzunehmen (und wenn möglich, an einem Tisch mit wichtigen Leuten zu sitzen) und an der Bar danach im besten Fall bis zur Sperrstunde auszuharren. Abgesehen davon können Konferenzen neue Erkenntnisse bringen, öffnen einen vielleicht für gänzlich neue Ideen und Blickwinkel. Das gilt insbesondere für große Konferenzen, auf denen es immer wieder mal Sessions oder vielleicht sogar ganze Tage gibt, an denen man orientierungslos von Vortragsraum zu Vortragsraum wandert, weil man sich nicht so recht entscheiden kann (entweder weil mehrere interessante Vorträge parallel stattfinden oder manchmal auch gar nichts, was gerade zu den eigenen Forschungsthemen passt). Wenn man das alles konsequent durchzieht, kann eine mehrtägige Konferenz geistig und körperlich ordentlich auslaugen – vor allem dann, wenn die Konferenz auf einem anderen Kontinent stattfindet und man auch noch vom Jetlag gebeutelt ist.

Wie man den eigenen Konferenzbesuch dann letztlich anlegt, ist auch eine Sache der Persönlichkeit. Da gibt es jene, die versuchen, die eigene Präsentation irgendwie zu überstehen und davor und danach quasi untertauchen. Am anderen Ende des Spektrum stehen wiederum jene Kollegen, die eine Konferenz zur reinen Selbstdarstellung verwenden, inklusive wichtigem Herumstolzieren, Extremnetworking und allem, was dazu gehört – und ja, ich habe mich hier absichtlich auf die männliche Form „Kollegen“ beschränkt, weil Frauen verhalten sich selten so. Ich persönlich versuche, einen Mittelweg zu finden – einerseits sehe ich mich schon in der Verantwortung, die oben skizzierten Chancen wahrzunehmen, andererseits möchte ich mich auch wohl in meiner Haut fühlen. Ob mir das immer zu 100% gelingt (also einen sinnvollen Mittelweg zu finden), sei mal dahingestellt, aber ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass mir viele meiner Konferenzreisen schon etwas gebracht haben.

Die nächste (oft gestellte) Frage habe ich eigentlich auch schon beantwortet. Nein, Konferenzen sind kein zusätzlicher Urlaub, sondern in erster Linie Arbeit. Eine Zeit lang hatten wir daheim den Running Gag, dass meine Frau Freunden, Bekannten und sogar unseren Kindern jedes Mal erzählt hat, dass ich schon wieder auf Urlaub gefahren bin. Worauf ich dann regelmäßig erklären musste: „Kein Urlaub, Arbeit, echt!“ Wobei ich schon zugeben muss, dass mir die meisten Konferenzreisen auch Spaß gemacht haben. Die Veranstalter von Konferenzen wollen natürlich viele Teilnehmer (die Registrierungsgebühren bezahlen und somit den finanziellen Erfolg der Konferenz sichern). Etablierte Konferenzserien sind oftmals ein Selbstläufer, aber grundsätzlich gilt einmal, ein gutes Programm zusammenzustellen, mit interessanten (möglichst viele Forscher ansprechenden) Themen, mit attraktiven Keynote Speakers usw. Dann ist es nie ein Fehler, wenn der Konferenzort gut erreichbar ist, möglichst durch Direktflüge – so ist die Anreise möglicherweise günstiger und vor allem komfortabler. Und last but not least ist es immer gut, wenn der Konferenzort attraktiv ist – z.B. weil zufälligerweise ein Strand daneben liegt oder weil Sehenswürdigkeiten in unmittelbarer Nähe zu finden sind. Folglich gilt: Wer regelmäßig auf Konferenzen fährt, besucht (nicht immer, aber) regelmäßig schöne und interessante Orte. Das heißt, auch wenn eine Konferenzreise sicherlich nicht mit einem Urlaub zu verwechseln ist, kommt man schon auch in den Genuss von gewissen Annehmlichkeiten. Üblicherweise bleibt durchaus Zeit, vor oder nach der Konferenz (oder während der Mittagspause) den Ort ein wenig zu erkunden. Das ist quasi ein kleiner Bonus. Und gleichzeitig auch der einzige Bonus – ich wurde nämlich schon oft gefragt, ob ich für so eine Reise Überstunden oder irgendwelche Zuschläge bezahlt bekomme. Natürlich nicht. Manche Unis bezahlen wenigstens die (mitunter saftigen) Spesen, die während so einer Reise anfallen, allerdings ist das eher die Ausnahme. Sämtliche Reise-, Hotel- und Teilnahmekosten werden üblicherweise übernommen, die Verpflegungskosten sind aber im Regelfall selbst zu tragen.

Im Vergleich zu meinem Alt-Chef und auch im Vergleich zu meinem derzeitigen Institutsvorstand, die beide äußerst aktive Konferenzbesucher waren und sind, ist die Anzahl der Orte, die ich im Zuge von dienstlichen Reisen besuchen durfte, fast schon lächerlich, trotzdem kann ich auf viele interessante Momente und Erlebnisse zurückblicken. In folgende Länder durfte ich bisher (berufsbedingt) reisen: Deutschland, Ungarn, Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Niederlande, Belgien, Schweiz, Polen, Irland, Tschechien, Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Litauen, Malta, Israel, Kanada, USA, Brasilien und Australien – ich hoffe, ich habe jetzt kein Land vergessen.

Die Tripadvisor-Übersicht jener Meeting- und Konferenzorte, an die mich mein Job schon geführt hat.

Ich freue mich jedenfalls darauf, nach langer Zeit heuer wieder mal auf Reisen zu gehen. Der Eintrag trägt ja den Titel „Wenn jemand eine Reise tut“ und bekanntermaßen geht der Spruch weiter mit „dann kann er was erzählen“. Für Konferenzreisen stimmt das definitiv auch. Im Zuge meiner arbeitsbedingten „Ausflüge“ durfte ich so einiges erleben und sehen, was mir ansonsten verwehrt geblieben wäre. Ich bin schon gespannt, wohin es heuer geht…ich werde (vielleicht) berichten!

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