Von der Betonwüste in die Wildnis und zurück

Was für eine Runde, da war (fast) alles dabei!

Ottakring stand (am 12. Juni) auf dem Programm und war der letzte Bezirk, dessen Grenze kürzer als 20 Kilometer ist. Früher (also in meiner Kindheit und Jugend) konnte ich mit dem 16. Bezirk eigentlich wenig bis gar nichts anfangen. Meine einzige Assoziation mit Ottakring war, dass sich dort viele der ehemaligen Gastarbeiter niedergelassen hatten. Dies führte – zumindest war das die weit verbreitete Meinung – zur Entstehung von Parallelgesellschaften und einer florierenden Klein- und Großkriminalität. Ob das alles so gestimmt hat oder ob Wien in dieser Zeit, also den späten 1970ern und 1980ern, einfach noch nicht bereit war für ein multikulturelles, integratives Zusammenleben, sei mal dahingestellt. Ich will mich hier auch gar nicht auf das dünne Eis einer gesellschaftspolitischen Diskussion begeben. Vielmehr möchte ich darauf hinaus, dass sich mein Bild von Ottakring in den letzten 20 Jahren deutlich gewandelt hat, was sicherlich damit zu tun hat, dass einige Ottakringer Grätzl hip und modern wurden und, last but not least, dass meine Frau in Ottakring aufgewachsen ist und ich deshalb Teile des Bezirks (besser) kennenlernen durfte. Jedenfalls gibt es eine gar nicht so kleine Anzahl an Ottakringer Lokalen, Orten und anderen Besonderheiten, mit denen ich nun persönliche Erinnerungen verbinde – z.B. den Brunnenmarkt, den Yppenplatz, die Ottakringer Brauerei, die Thaliastraße, natürlich den Gürtel mit den Lokalen in den Stadtbahnbögen (die zwar nicht mehr zum 16. Bezirk gehören, aber direkt angrenzen), die Lugner-City und und und. Nicht alles davon ist schön, nicht alles davon mag ich, aber Charakter hat Ottakring ganz bestimmt. Insofern habe ich durchaus sowas wie Vorfreude hinsichtlich dieser Umrundung empfunden.

Gestartet bin ich wieder einmal am Gürtel, direkt vor der U6-Station Josefstätter Straße. Ein kurzes Stück bin ich dem Gürtel in nördlicher Richtung gefolgt, dann ging es recht bald über die Veronikagasse zur Ottakringer Straße. Dieser musste ich bis zur Ottakringer Brauerei folgen, um danach quasi hakenschlagend durch ein paar kleinere Gassen bis zur Wattgasse zu gelangen. Die Sautergasse führte mich dann zum Bahnhof Wien Hernals und eigentlich waren sich die diversen Pläne, die ich im Vorfeld studiert hatte, einig, dass ich nun gerade durch den Bahnhof laufen können würde. Keine Ahnung, wie das gehen soll. Hier steht ein Wohnhaus mit Supermarkt im Erdgeschoss (und das offenkundig schon längere Zeit) und ich sah (und sehe nach wie vor) keine andere Möglichkeit als über einen kleinen Umweg zum Kongresspark zu gelangen.

Ottakringer Straße und Brauerei (oben), Manner-Fabrik (eigentlich im 17. Bezirk, aber direkt an meiner Strecke, unten links) und dann das Gebäude, das ich durchqueren hätte sollen.

Nach dem Park begann das Sammeln von Höhenmetern. Zunächst ging es (noch recht unspektakulär) auf Gehsteigen immer steiler bergauf, bis ich den Kleingartenverein Predigtstuhl erreichte. An dieser Stelle habe ich im Vorfeld lange hin und her überlegt, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ab hier die Bezirksgrenze für einige Zeit unerreichbar sein würde. Grundsätzlich schlängelt sich die Grenze um den Gallitzinberg herum (also quasi dem Dach von Ottakring, auch und vielleicht sogar besser bekannt als Wilheminenberg oder Predigtstuhl), entlang diverser Bäche, wie z.B. dem Dornbach. Der erste dieser Grenzbäche führt durch ein eingezäuntes Waldstück. Warum diese Einzäunung notwendig ist, weiß ich nicht, vielleicht ist dieses Gebiet im Privatbesitz, keine Ahnung. Jedenfalls blieb mir nichts übrig, als über die Eselstiege auszuweichen, etwa 100 Meter von der eigentlichen Grenze entfernt. Auch kein Drama. Ab hier wurde es dann für ungefähr eine Stunde lang relativ abenteuerlich.

Eselstiege.

Nachdem ich die Eselstiege hinuntergezappelt war (es handelt sich dabei tatsächlich um Stiegen), bin ich nämlich in den Ottakringer Wald abgebogen – ich bin mir nicht ganz sicher, glaube aber schon, dass der ganze Wald, durch den ich gelaufen und/oder gewandert bin, so heißt. Dort ging es einen gut zu belaufenden Waldweg entlang, an der zuvor erwähnten Einzäunung vorbei, dann auf einem schmalen Steg über einen Bach und schließlich hat sich meine Route so dahingeschlängelt. Zunächst war es noch halbwegs laufbar, schon steil rauf und runter, immer wieder über giftige kleine Rampen, aber auch für mich machbar. Die starken Regenfälle der letzten Woche machten sich aber bereits bemerkbar. Immer wieder musste ich durch gatschige Stellen waten oder drüberspringen oder mich irgendwie vorbeihanteln. Ich tu mir jetzt schwer, die passierten Stellen genauer zu beschreiben – es war eben ein Weg durch den Wald (nun den Dornbach entlang)… Jedenfalls wurde es dann steiler und ich wurde vorübergehend zum Wanderer. Irgendwann war ich oben und bin nicht direkt aber recht knapp (ein paar Bäume waren noch dazwischen) rechts an der Kreuzeichenwiese vorbeigelaufen und nach einem kurzen Stück auf einer Forststraße gleich wieder in den Wald eingetaucht, um mich über Moos- und Wolfsgraben bergab durchzuschlagen. Die Wege waren zum Teil wirklich super zu laufende Single-Trails, dann gab es aber auch Passagen, für die ich mich ordentlich bücken musste, weil es immer enger und zugewachsener wurde. Ein paar Mal war ein Bachbett zu überqueren – dieses Stück hat insgesamt großen Spaß gemacht.

Teil 1 des Abenteuers – hier noch auf als solche erkennbaren Wegen.

Unten angelangt ging es nach einer kurzen Orientierungspause auch schon wieder bergauf, und zwar mehr oder weniger direkt durch den Gemeindewald (ob das jetzt, wie ich glaube, ein Teil vom Ottakringer Wald ist oder ein eigenständiger Wald, weiß ich nicht, tut auch nichts zur Sache) rauf zur Ulmenstraße bzw. zum Pelzer Rennweg, von wo aus die Jubiläumswarte erreichbar ist. Und wenn es bis hierher noch nicht abenteuerlich genug war, wurde mein Abenteuerdurst nun endgültig mehr als gestillt. Und das hat einen Grund. Ich habe mir auf Strava nämlich zwei Routen zusammengezimmert – vor einigen Monaten schon eine „sinnvolle“ Route, also einen Kompromiss zwischen tatsächlicher Bezirksgrenze und offenkundig vorhandenen, potentiell gut bewältigbaren Wegen. Und letzte Woche dachte ich mir, dass ich eigentlich die exakte Bezirksgrenze ebenfalls mithaben möchte, quasi als Zusatzinfo. Naja, wenn ich das schon so schreibe, ist wohl nicht schwer zu erraten, welche der beiden Routen ich nun am Handy versehentlich geöffnet hatte. Kurz habe ich zwischendurch einen Weg gefunden, ansonsten habe ich mich querfeldein durch das Dickicht geschlagen. Oftmals steil bergauf. An mehreren Stellen war ich kurz davor, ein paar Meter wieder abzurutschen, weil ich für so ein Terrain nicht gerüstet war und meine normalen, profillosen Straßenlaufschuhe anhatte. Irgendwie konnte ich diesen Anstieg trotzdem halbwegs unversehrt bezwingen (einmal hat es mich kurz auf die Seite gelegt, weil ich weggerutscht bin) und durch meinen Irrtum habe ich es geschafft, der Bezirksgrenze hier ohne größere Abweichungen zu folgen, was natürlich gut ist. Im Nachhinein bezweifle ich ehrlich gesagt auch, dass die Wege, deren Existenz Strava suggeriert hat und denen ich auf meiner eigentlich vorbereiteten Route folgen wollte, überhaupt da waren. Vielleicht findet man diese nur im Winter und im Frühling bis Herbst versperrt die Vegetation die Sicht, ich weiß es nicht.

Teil 2 des Abenteuers – keine Wege mehr zu finden (rechts unten dann quasi der Ausstieg aus der Wildnis).

Im Endeffekt war ich oben, musste nun eine teilweise recht steile Straße bergab laufen und routentechnisch war nur noch eine bekannte und eine unbekannte kleine Schwierigkeit zu bewältigen. Einerseits – und das war Neuland für mich – waren die Steinhofgründe zu durchqueren. Es hätte die Möglichkeit gegeben, außen herumzulaufen (auf dem Gehsteig entlang der Johann-Staud-Straße) oder es drinnen zu versuchen. Ich habe mich für die zweite Option entschieden und zunächst hat das auf einem Trampelpfad überraschend gut, quasi exakt auf der Grenze, funktioniert. Die Freude darüber war aber nur von kurzer Dauer, weil ich recht bald vor einer durch einen Elektrozaun abgesperrten Weidefläche gestanden bin. Insofern musste ich hier dann doch auch ausweichen und die Abweichung von der Bezirksgrenze war im Endeffekt größer als jene, die ich entlang der Straße in Kauf nehmen hätte müssen. Egal, landschaftlich war es so sicherlich schöner. Durch jenen Teil der Steinhofgründe, der als Baumgartner Höhe bekannt ist, habe ich dann die Spiegelgrundstraße und in weiterer Folge den Flötzersteig erreicht.

Der weitere Weg von der Seglerstraße über die Steinhofgründe zum Flötzersteig.

Nun war das Ende meiner Runde nahe, ich musste noch zur Kendlerstraße laufen, dort – und das war die vorher erwähnte bereits bekannte kleine Schwierigkeit hinsichtlich der Route – die von der Gablenzgasse, Kendlerstraße und Sporckplatz umschlossenen Sportplätze möglichst nahe an deren inneren Umzäunungen entlanglaufen (warum das nicht so leicht ist, habe ich hier erklärt). Danach galt es nur noch der Gablenzgasse bis zum Gürtel zu folgen und dort dann zurück zum Startpunkt zu laufen.

Am Ziel!

Unterwegs war ich knapp 2 1/2 Stunden. Laut Garmin bzw. Strava war ich davon 2:12:36 Stunden in Bewegung, was für die 19,22 Kilometer eine Pace von 6:54 min/km ergeben würde. Ich habe es bereits in meinem Bericht zur Währing-Umrundung erwähnt und ich möchte es nochmals betonen: Diese automatisch rausgerechneten Stehzeiten sind meiner Meinung nach mit Vorsicht zu genießen. Ein Beispiel: Die Gablenzgasse runter geht es sanft bergab und ich konnte es dort einigermaßen rollen lassen – trotzdem bin ich dort nur relativ knapp unter 6 min/km geblieben. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen und erklärt sich wohl durch die nur teilweise rausgerechneten Stehzeiten bei Ampeln. Einerseits stört mich das ein wenig – ich habe zwar mal geschrieben, dass diese Umrundungen losgelöst von jeglichen sportlichen Ambitionen zu sehen sind, aber so ganz stimmt das wohl doch nicht, weil insgeheim wäre mir eine 6:45er-Pace lieber als eine 6:54-er Pace, auch wenn das in Wahrheit komplett wurscht ist (was soll ich machen, ich bin halt sowas wie ein großer, alter Bub). Andererseits ist es mir so trotzdem lieber als bei jeder Ampel manuell die Aufzeichnung zu pausieren, weil ich irgendwann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vergessen würde, die Aufzeichnung fortzusetzen. Das wäre wesentlich verheerender. Ansonsten hat mir die Runde sehr gut gefallen – der Lauf war extrem abwechslungsreich und der Kontrast zwischen der Wildnis im Ottakringer Wald und der „Landschaft“ am Gürtel könnte kaum größer sein. Für die nächste Runde – Döbling steht nun auf dem Programm – sollte ich allerdings in Betracht ziehen, geländegängigere Schuhe anzuziehen – teilweise hatte ich bergauf gewaltige Probleme mit dem Grip und auch bei der Döbling-Umrundung wird es solche Stellen voraussichtlich geben. Schau ma mal.

Nochmal zu meiner Routengenauigkeit: Auch in dieser Hinsicht bin ich sehr zufrieden. Wie auf der nachfolgenden Karte ersichtlich, habe ich mich vier Mal mehr oder weniger deutlich von der exakten Bezirksgrenze entfernt. Einmal aufgrund des Bahnhofs Wien Hernals (oben rechts, unvermeidbar), wegen der teilweisen Einzäunung des Ottakringer Waldes (oben links, unvermeidbar), auf dem Gelände des Pensionstenwohnheims an der Grenze zum 15. Bezirk (unten rechts, unvermeidbar) und dann noch auf den Steinhofgründen (unten links, eine Abweichung war unvermeidbar, aber sie hätte kleiner sein können, wäre ich auf der anderen Seite der Grenze entlang gelaufen). Damit kann ich gut leben.

Exakte Bezirksgrenze (in rot) und mein GPS-Track (in blau).

Eines hätte ich fast vergessen: Eine kleine Enttäuschung habe ich ganz am Ende dann doch noch erlitten. Eigentlich wollte ich die Runde passenderweise mit einem 16er-Blech (also einer Dose Ottakringer-Bier) feiern. Neben meinem Rad-Abstellplatz wäre sogar ein Würstelstand gewesen, aber leider hatte ich nicht genügend Bargeld mit…schade schade.

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