One year in the making

Nach der langen und anstrengenden Liesung-Umrundung stand zunächst Regeneration auf dem Plan. Nicht zu knapp. Und als ich dann wieder einigermaßen fit war, folgte relativ bald – für Mitte/Ende November eh nicht so wahnsinnig überraschend – so etwas wie ein grauer, nasser und kalter Vorgeschmack auf den nahenden Winter. Für meine Motivation war das im Endeffekt ein schallender Nackenschlag. Ich beschloss also, die letzte Umrundung (um die Donaustadt) nicht erzwingen zu wollen, sondern diese bei günstigen Bedingungen mehr oder weniger spontan einzuschieben. Dazu kam es aber weder im November noch im Dezember 2023. Besonders groß war die Enttäuschung darüber nicht. Der Startschuss für dieses Projekt erklang Mitte April – folglich hätte ich ja ohnehin noch 3 1/2 Monate im folgenden Jahr 2024, um die 23 Runden innerhalb eines Jahres bewältigt zu haben. Ein Plan B war also rasch gefunden. Blöderweise wurden die Schmerzen in meinem linken Knie, die mich im Laufe der vergangenen Jahres immer wieder mal quälten, im Februar 2024 vorübergehend so stark, dass für einige Wochen an Laufen nicht zu denken war. Ein MRT ergab dann wenige Monate später, dass mir ein klassisches Patellaspitzensyndrom zu schaffen macht(e). Und darüber hinaus noch ein Impingement in der rechten Hüfte, was die mehrfach erwähnten Schmerzen in diesem Bereich wohl hinreichend erklärt. Bis sich das alles wieder halbwegs beruhigt hatte (eine vollständige Genesung ist – Stand November 2024 – leider nach wie vor ausständig), vergingen einige Wochen bzw. sogar Monate.

Die Vorbereitung auf den längsten Lauf meines Lebens war insofern…naja…durchwachsen. Bis Ende Oktober hatten im Jahr 2024 genau vier Läufe über 20 Kilometer stattgefunden, drei davon waren zwischen 20 und 22 Kilometer und einer immerhin 27,irgendwas Kilometer lang. Am Nationalfeiertag hatte ich dann einen Rappel und entschloss mich spontan zu sowas wie einer Generalprobe über die Marathon-Distanz. Diese war einigermaßen erfolgreich bzw. traute ich mir danach durchaus zu, bei entsprechend vorsichtig gewähltem Tempo noch ein Weilchen länger durchzuhalten. Der einzige Wermutstropfen dabei war die Tatsache, dass ich ungefähr 12 Kilometer vor dem Ende der Runde eine Bodenunebenheit übersehen hatte und mir deswegen beide (vor allem aber das rechte) Knie ordentlich überstreckte. An den beiden Tagen danach humpelte ich mit einem geschwollenen rechten Knie in der Gegend herum und hatte einige Bedenken, ob ich in absehbarer Zeit überhaupt wieder laufen können würde. Wundersamer Weise verbesserte sich die Knie-Situation aber äußerst zügig – während einer Kurzurlaubsreise nach Venedig in den Herbstferien (wenige Tage nach dem verhängnisvollen Lauf) konnte ich jeden Tag 12 bis 20 Kilometer schmerzfrei marschieren. Zu Allerseelen, exakt eine Woche nach dem Testlauf, sollte es also soweit sein. Mein rechtes Knie war wieder alltagsfit, aber natürlich ein großes Fragezeichen. Trotzdem hatte ich so ein „Jetzt oder nie“-Gefühl am Freitag davor. Die Bedingungen sollten eigentlich ideal sein (12-14 Grad, trocken, ein wenig windig, aber alles im Rahmen), ab ungefähr 11 Uhr hatte ich Zeit und nachdem die Wochenenden danach einigermaßen verplant waren, sah ich keinen Grund, diesen Lauf weiter aufzuschieben. Wirklich bereit und fit fühlte ich mich zwar nicht, aber das würde sich auch in den kommenden Wochen nicht ändern. Die Strategie war klar: Langsam so lange laufen wie es halt geht und dann, sollte Laufen irgendwann nicht mehr gehen, flott weiterwandern. 

Wie das halt so ist, war am Vormittag des Samstags viel zu tun bzw. verzögerte sich alles ein wenig – Kind zur Tennisstunde bringen, den Wochenendeinkauf erledigen, Kind von der Tennisstunde abholen, ein Geburtstagsgeschenk aus der Buchhandlung abholen, zum Mistplatz fahren (erfolglos, weil zu Allerseelen geschlossen, wie ich jetzt weiß), Handy anstecken, alles herrichten, draufkommen, dass das Ladekabel nicht ordentlich angesteckt war, Handy in die Ladestation einlegen und warten bis das Handy vollständig geladen war. Und plötzlich war es 11:30 Uhr. Nachdem ich hoch und heilig versprochen hatte, dass ich mich melden würde, sollte ich Schmerzen oder sonstige Probleme haben, verließ ich das Haus um etwa 11:40 Uhr, ausgerüstet mit normalen, gut gedämpften Straßenlaufschuhen, einer kurzen Laufhose, einem langen Kompressionsshirt,  einer dünnen Windjacke darüber sowie einem dünnen Laufstirnband. Außerdem hatte ich eine komplette Ersatzgarnitur inklusive langer Laufhose mit – für den Fall, dass es am Abend stark abkühlen würde. Verpflegungstechnisch setzte ich auf sieben oder acht Gels, 2 Elektrolyttabletten, einer Flask mit Wasser und einer mit einer Maltrodextrinmischung. Außerdem hatte ich zwei Stirnlampen dabei, ein Ersatzstirnband, eine Haube, ein wenig Geld, meine Kopfhörer (inklusive Lade-Case), mein Handy und Klopapier (man weiß ja nie). Schon erstaunlich, wieviel Zeugs in so eine kleine Laufweste reinpasst. Was sich im Nachhinein als Fehler herausstellte, war, dass ich auf meine kleine Powerbank verzichtete, weil die hätte ich am Ende gut brauchen können. Jedenfalls stapfte ich so beladen zum Lobaueingang bei der Badgasse. Nachdem Groß-Enzersdorf direkt an den 22. Bezirk grenzt, konnte ich den Startpunkt meiner Runde – ich hatte das Egerer Brückl dafür auserkoren – bequem zu Fuß erreichen. HinLAUFEN wollte ich aber nicht, wohlwissend, dass ich an diesem Tag noch lange genug laufen würde. Nach einem kurzen Spaziergang war es also 5 vor 12, als ich aufbrach. Noch einmal tief durchatmen und los ging es.    

Und tatsächlich war gleich am Anfang Gehen angesagt. Ich kenne nämlich einen kleinen Schleichweg, der direkt neben dem Egerer Brückl beginnt und dann relativ knapp neben dem Groß-Enzersdorfer Arm (in welchem die Bezirksgrenze verläuft) bis zur Vorwerkstraße führt. Zuletzt belaufen habe ich diesen Weg im März 2023 – das weiß ich deswegen relativ genau, weil ich bei diesem Lauf meine damals nigelnagelneuen Trail-Laufschuhe einweihte. Egal, jedenfalls war dieser Schleichweg damals relativ gut passierbar. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Großteils ist der Pfad von allen Seiten zugewachsen und teilweise gar nicht mehr als solcher erkennbar. Folglich war hier Laufen nicht wirklich möglich, nach wenigen Minuten bog ich gleich mal falsch ab, kehrte wieder um und verließ den Weg zwischendurch, weil es einfach kein Durchkommen gab. Von der Vorwerkstraße bis zur Staudiglbrücke gelangte ich über einen weiteren Schleichweg, der zwar großteils belaufbar, aber vor ein paar Jahren deutlich besser „gepflegt“ war. In der Zwischenzeit sind einige Bäume auf den Weg gefallen und man muss immer wieder über querliegende Baumstämme klettern. Ich würde nicht sagen, dass man sich auf diesem Abschnitt wegen latenter Baumsturzgefahr in eine lebenbedrohliche Lage begibt, aber ich empfehle trotzdem, diesen Weg eher zu meiden und keinesfalls bei starkem Wind oder nach Unwettern zu begehen. Mit dem Erreichen der Staudiglbrücke endete jedenfalls dieser kurze Abenteuerabschnitt.

Nun folgte eine längere Passage in der Unteren Lobau. Ich kenne dort zwischen Groß-Enzersdorf und Schönau so ziemlich alle offiziell benutzbaren Wege, insofern war das Laufen hier relativ unspektakulär. Ich versuchte die Bezirksgrenze, die in diesem Fall gleichzeitig auch die Wiener Stadtgrenze ist, so gut wie möglich so erwischen, ohne dabei kreuz und quer durch Wiesen und Wälder zu latschen, einerseits aus Bequemlichkeit, andererseits aber, weil das in einem Nationalpark aus guten Gründen natürlich verboten ist. Insofern waren teilweise signifikante Abweichungen von der Grenze (die sich hier kaum an Wege oder dergleichen hält) nicht zu vermeiden. Es ging also dahin durch die herbstliche Monotonie (die aber durchaus schöne An- und Ausblicke zu bieten hatte), vorbei am Eberschüttwasser und Mittelwasser, kurz nach Mühlleiten rauf auf den Schönauer Rückstaudamm und nach ein paar Minuten wieder rein in die Lobau und runter zur Gänsehaufentraverse, welche über das Kühwörther Wasser führt. Schließlich verließ ich die Lobau, überquerte den Marchfeld-Schutzdamm und lief weiter zum Donauufer, an welchem ich meinen Weg stromaufwärts fortsetzte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ungefähr 12 Kilometer zurückgelegt, also noch nicht ganz ein Fünftel der Runde.  

Die folgenden knapp drei Kilometer entlang der Donau – danach endet der Weg und ich musste auf den Marchfeld-Schutzdamm ein Stückchen weiter weg von der Bezirksgrenze ausweichen – boten als Attraktionen einerseits einige Daubelfischerhütten, andererseits die Barbara-Rohrbücke, welche eine Erdgasleitung über die Donau führt. Das Laufen ist hier aber kein großer Spaß. Der Untergrund ist relativ sandig und offenbar passiert hier in naher Zukunft irgendetwas in baulicher Hinsicht – möglicherweise wird ein befestigter Weg errichtet, keine Ahnung. Jedenfalls stehen teilweise Baumaschinen herum und ein relativ breiter Bereich wurde planiert oder einfach nur mit schweren Fahrzeugen befahren. Die Konsequenz daraus ist, dass man sich zu Fuß über die im weichen Boden entstandenen Profilspuren kämpfen muss, was eher mühsam ist. Vor zwei oder drei Jahren habe ich dieses Gebiet für mich entdeckt (runter bis zum Schönauer Schlitz) und damals als relativ naturbelassen und eigentlich sehr sehenswert wahrgenommen. Das hat sich, aus welchen Gründen auch immer, seither geändert.

Wirklich traurig war ich also nicht, als ich mich nach ungefähr 20 Minuten von der Donau vorübergehend wieder entfernte und auf dem Marchfeld-Schutzdamm weiterlief. Immer geradeaus ging es am Rand der Lobau entlang, zuerst am Schwarzen Loch und dann am Donau-Oder-Kanal vorbei, bis ich ein wenig später den Ölhafen erreichte. Von dieser Etappe gibt es nicht wirklich viel zu erzählen. Ein paar radfahrenden und spazierenden Menschen bin ich begegnet, sonst war da nix.

Nun folgte der nächste Szenenwechsel. Über die Walulisobrücke wechselte ich auf die Donauinsel, auf der es für die nächsten zehn Kilometer mehr oder weniger kerzengrad dahingehen sollte, möglichst nahe am Donauufer. Auch hier ist nicht viel passiert – natürlich sah ich viele Menschen, die das schöne Herbstwetter für diverse Outdoor-Aktivitäten nutzten, aber wenige Tage später kann ich mich an keine einzige nennenswerte Begebenheit erinnern. Eine entscheidende Sache ist allerdings passiert irgendwo bei Kilometer 21 bis 24. Und zwar spürte ich bereits einige Zeit so ein Reiben auf der Sohle des rechten Fußes. Nicht gut. 40 Kilometer mit einer Blase zu laufen war irgendwie keine schöne Vorstellung. Ich beschloss also, bei der nächsten Sitzgelegenheit die Schuhe auszuziehen, die Socken glattzustreifen und ordentlich hochzuziehen und mir die Schuhe fester zu binden. Gedacht, getan, danach hatte ich damit kein Problem mehr. Wäre ich dafür zu faul gewesen, hätte das ungut enden können. Die Brigittenauer Brücke markierte dann quasi das Ende des Abschnitts „Donauinsel“.

Auf der nächsten Etappe galt es nun, über die Brigittenauer Brücke zur Alten Donau zu gelangen und diese über den Birnersteig zu überqueren. Die Strecke kannte ich von der Floridsdorf-Umrundung. Ein bissl fußmarod war ich zwar auch an diesem Tag auch schon, kein Vergleich allerdings zur Floridsdorf-Umrundung, als ich an dieser Stelle von Hüftschmerzen und Blasen auf beiden Füßen gepeinigt war. Kurz nachdem ich die Alte Donau erreichte, passierte ich den imaginären Halfway-Point meiner Runde und war eigentlich noch guter Dinge. Vor dem besagten Birnersteig nutzte ich den Luxus einer öffentlichen Toilette und weiter ging die Reise.

Ich folgte nun dem nordöstlichen Ufer der Alten Donau bis zum Drygalskiweg. Dieser führte mich durch ein kleines Siedlungsgebiet zur Siebeckstraße. Auch dieser Abschnitt war mir von der Floridsdorf-Umrundung bekannt. Mein nächstes Zwischenziel war die Kreuzung der Wagramer Straße mit dem Hofstättenweg. Zunächst verlief die Strecke entlang der Siebeckstraße, über die Donaufelder Straße ging es in die Josef-Baumann-Gasse, an der Veterintärmedizinischen Universität vorbei, über die Zehdengasse in die Eipeldauer Straße und über die Oskar-Grissemann-Straße und die Sebaldgasse erreichte ich schließlich die Wagramer Straße. Kennen muss man diese Gassen und Straßen zwischen der Alten Donau und der Wagramer Straße alle nicht, abgesehen von der Uni kannte ich vor meinen Bezirksumrundungen keine davon. Ich erwähne sie lediglich, weil es von diesem Teil der Runde sonst nichts zu berichten gibt – ein grauer Straßenzug folgte dem anderen. Auf der Wagramer Straße legte ich, während ich ein Gel verzehrte, die erste kurze Gehpause ein. Wirklich notwendig war das zwar nicht, aber für den Kopf hat sich das, warum auch immer, richtig angefühlt. Wie eine kleine Belohnung dafür, dass ich bis hierher gelaufen war. Im Endeffekt handelte es sich um – keine Ahnung – 100 bis maximal 200 Meter bis zur Ampel beim Rautenweg. Die Gehpause nutzte ich auch, um meine Stirnlampe rauszukramen, weil mittlerweile war es ziemlich dunkel und ab dem Rautenweg gibt es neben der Wagramer Straße keinen Gehsteig mehr. Sicherheitsbedenken hatte ich aber keine, weil das Bankett neben der Straße ist relativ breit und gut begehbar. Nach knapp 42 Kilometer erreichte ich die zuvor genannte Kreuzung, bei der ich im Zuge der Umrundung des 21. Bezirks links abgebogen war. Bis jetzt war ich ausschließlich auf bekannten Wegen und großteils bei Tageslicht unterwegs. Nun war es stockdunkel und die folgenden 15 bis 16 Kilometer waren komplettes Neuland für mich, zumindest aus Läuferperspektive. Spannend.

Es begann gleich mal damit, dass ich jene Abzweigung von der Wagramer Straße, der ich laut GPS-Track folgen sollte, partout nicht finden konnte. Ich lief drei Mal an der Stelle vorbei, an der ich abbiegen sollte – da war nichts. Es ist aber durchaus möglich, dass ich bei Tageslicht einen Trampelpfad auf der Böschung neben der Straße entdeckt hätte. Ich entschied mich dann dafür, in die nächste Seitengasse einzubiegen und ein kleines Eckerl von der geplanten Route abzuweichen. Ab hier habe ich ehrlich gesagt nur noch sporadische Erinnungen an den Lauf. Ich behaupte, dass ich noch so ziemlich alle Details der 22 vorangegangenen Bezirksumrundungen im Kopf habe. Wenn ich mir die alten GPS-Tracks anschaue und zu einer beliebigen Stelle hinzoome, kann ich sehr wahrscheinlich sehr konkrete Erinnerungen an genau diesen Moment abrufen. Und obwohl die Donaustadt-Umrundung nur wenige Tage her ist, habe ich bereits jetzt weite Teile des letzten Abschnitts nur mehr sehr verschommen vor meinem geistigen Auge. Das mag daran liegen, dass die Ermüdung schon recht groß war. Die Trostlosigkeit der Gegend, gepaart mit dem Umstand, dass ich für einen langen Zeitraum lediglich jenen klitzekleinen Ausschnitt meiner Umgebung wahrnehmen konnte, den der Lichtkegel meiner Stirnlampe vor mir preisgab, spielt aber wahrscheinlich eine genauso große Rolle. Jedenfalls weiß ich nicht mehr wirklich so genau, wie ich von der nicht gefundenen Abzweigung von der Wagramer Straße zum Möbelix/Mömax-Zentrallager gekommen bin. An die Minuten danach erinnere ich mich allerdings sehr genau. Vor allem deswegen, weil ich auf einem Spielplatz hinter diesem Zentrallager den allerletzten Trinkbrunnen, an dem ich (ohne sehr große Umwege) bis zum Ende meiner Runde vorbeikommen würde, ausfindig gemacht hatte. Aufgrund der angenehmen Temperaturen war mein Flüssigkeitsbedarf nicht allzu groß (ca. ein Liter pro 20 km), aber ich hatte mich auf die Möglichkeit, hier meine zu diesem Zeitpunkt tatsächlich komplett leeren Flasks auffüllen zu können, verlassen. Und wenn ich das schon so ausführlich schildere, ist eh klar, was im Endeffekt passiert ist. Oder nicht passiert ist. Den Spielplatz konnte ich finden, der Trinkbrunnen war da, aber Wasser hat dieser keines gespendet. Offenkundig war er kaputt oder war bereits winterfest gemacht worden. Eine schöne Bescherung. Ich war aber zu fassungslos, um mich darüber aufzuregen und lief halt einfach weiter. Was hätte ich auch anderes tun sollen. Wenige Minuten später folgte dann aber meine Rettung, in Form des Snack- und Getränkeautomaten auf dem Bahnsteig des Bahnhofs Süßenbrunn. Ich übertreibe nicht, wenn ich von einer Erleichterung seismischen Ausmaßes spreche.  

Unmittelbar nach Süßenbrunn kam ich noch am Bahnhof Gerasdorf vorbei. Dieser markierte für die nun folgenden 80 Minuten quasi das Ende der Zivilisation. Bis zur Invalidensiedlung am Rand von Essling wurde ich mit ganz viel Nichts konfrontiert. Auf irgendwelchen Feldwegen lief ich dahin, entlang einer Zugstrecke, auf endlosen Schleifen neben der Abfahrt „Angerer Straße“ der Nordautobahn, um auf die andere Seite der Autobahn zu gelangen und dann wieder kreuz und quer über Feldwege zwischen Aderklaa und Breitenlee, um dann irgendwann die lange Zeit nur in der Ferne erahnbaren Lichter der erwähnten Invalidensiedlung zu erreichen. Nun musste ich ein Stück gehen, weil meine Route ab hier nämlich unmittelbar neben einem Windschutzgürtel durch eine knöchelhohe Wiese über unebenen Boden verlief und ich keine Lust auf Knöchelbrüche oder Bänderrisse hatte. Außerdem versperrten mir mehrfach umgestürzte Bäume den Weg. Klettern musst ich also auch noch. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich die Schafflerhofstraße, also wieder festen Boden unter den Füßen. Wenig später war dann nochmals Gehen angesagt – der Untergrund war nun loser Ackerboden, wieder neben einem Windschutzgürtel. Und nun folgten die beiden einzigen wirklich unnötigen Abweichungen von meiner geplanten Route. Und beide kann ich mir nicht erklären, weil ich bin in der Vergangenheit hier schon mal gelaufen und weiß, dass die Wege, auf denen ich laufen wollte (und die praktischerweise exakt auf der Bezirksgrenze verlaufen) tatsächlich existieren. Theoretisch sollte die Navigation an den beiden Stellen wirklich kein Problem darstellen. Dennoch habe ich die erste Abzweigung nicht gefunden und bin einfach gerade weitergelaufen und an der zweiten Stelle bin ich rechts abgebogen anstatt gerade weiterzulaufen. Ich weiß wirklich nicht, warum ich mich hier zwei Mal innerhalb weniger Minuten so verkoffert habe. Diese Orientierungslosigkeit kann ich im Nachhinein nur dadurch erklären, dass ich schon ein bissi gaga gewesen sein muss. 

Die restliche Strecke kannte ich, nachdem ich mich zur Guntherstraße zurücknavigiert hatte, wirklich gut und erneutes Verlaufen war quasi ausgeschlossen. Ich musste nur mehr der Guntherstraße zur Esslinger Hauptstraße folgen und dann über den schmalen Weg hinter dem Reit- und Therapiezentrum Donaustadt, dem Autokino und der Hundeschule zum Lobaueingang bei jenem Naturbadeplatz, der als „Elferl“ allseits bekannt ist, in die Lobau rein- und zurück zum Egerer Brückl laufen, neben welchem ich rund 9 1/2 Stunden davor diesen Lauf begonnen hatte. Und damit ist diese kompakte, aber alles andere als kurze Wegbeschreibung abgeschlossen.

Nun zu den beiden Fragen „Wie ist es mir bei meinem ersten „Ultra-Marathon“ gegangen?“ und „Wie war meine sportliche Leistung?“, die natürlich miteinander verknüpft sind. Ich hielt es für sinnvoll, eine Pace von irgendwas zwischen 7:00 und 7:30 min/km anzuvisieren. Das ist im ausgeruhten Zustand wirklich langsam, insofern dachte ich, dass ich dieses Tempo relativ durchhalten können sollte. Und so war das auch. Nachdem ich mich am Anfang durch das Gebüsch neben dem Groß-Enzersdorfer Arm geschlagen hatte, lief ich relativ lange mit einer Pace von 6:hoch bis 7:niedrig min/km. Wenn meine Aufzeichnungen stimmen, konnte ich mich relativ locker 32 Kilometer in diesem Tempo bewegen. Die dann folgenden 15 Kilometer war ich fast durchwegs langsamer, allerdings liegt das hauptsächlich an den zahlreichen erzwungenen Pausen bei Ampeln und Bahnschranken – ich verzichtete nämlich darauf, den Lauf jedesmal zu pausieren und ließ die Uhr einfach durchlaufen. Ich vermute, dass es hier noch keinen körperlichen Einbruch gab und ich im Endeffekt 47 oder 48 Kilometer lang im genannten Tempobereich unterwegs war. Bergab ging es mit mir (sowohl körperlich als auch mental) nach Gerasdorf, als ich dann in die Dunkelheit eintauchte. Ich könnte mich nicht daran erinnern, bis zum Erreichen der Invalidensiedling oft stehengeblieben zu sein – dafür gab es ja auch keinen Grund auf den Feldwegen – trotzdem wurde es nun schmerzhaft und wirklich langsam. Lief ich „schneller“ als 8 min/km, meldeten sich relativ bald meine rechte Hüfte und / oder die Ansätze der Waden unter beiden Knien. Insofern blieb ich nun großteils im Bereich zwischen 8:10 und 9:30 min/km. Dann folgten die Gehpassagen neben den beiden Windschutzgürtel. Gehen war wirklich überhaupt kein Problem, das hätte ich (zumindest körperlich) noch viel länger durchgehalten. Das letzte Stück auf der Guntherstraße, zurück zur Lobau und am Ende die paar Minuten in der Lobau waren tatsächlich eine ordentliche Qual jenseits der 10 Minuten pro Kilometer. Ich wollte im Nachhinein sagen können, dass ich bis zum Ende gelaufen bin, deswegen war das schon ok so, aber schnelles Gehen wäre wahrscheinlich schneller und effektiver gewesen. Ganz am Ende der Runde bzw. während des Spaziergangs nach Hause war eine Druckstelle unter den Zehen des rechten Fußes lästig, möglicherweise haben sich die Socken verwurschtelt oder es handelte sich um eine Nervenirritation. Wie auch immer, das wäre, hätte die Runde länger gedauert, ein weiteres Problem geworden. Meine Knie spürte ich nur am Anfang, wenn ich bergauf nicht über meinem Schwerpunkt die Füße aufsetzte, sondern davor. In den Tagen danach war das rechte, lädierte Knie die einzige wirklich Problemstelle. Es dauerte schon ein paar Tage, bis ich mich wieder schmerzfrei bewegen konnte. Die Füße haben ungefähr einen Tag lang gejammert, aber das war eher eine Kleinigkeit. Muskulär steckte ich den Lauf problemlos weg, ohne Muskelkater oder dergleichen. Die verstrichene Zeit betrug im Endeffekt 9:35:07 Stunden, als Bewegungszeit spuckt Strava 8:54:50 Stunden aus, was aber sicherlich nicht stimmt. Ungefähr eine Viertelstunde muss man davon noch abziehen. Insgesamt komme ich so auf einen Schnitt von ziemlich genau 7:30 min/km (wenn in Bewegung), insofern bin ich eigentlich relativ zufrieden mit mir. Mehr konnte ich realistischerweise nicht erwarten.

Mit der Streckengenauigkeit bin ich auch recht zufrieden. Es ist ja offensichtlich, dass die exakte Grenze an mehreren Stellen quasi unerreichbar war. Gut, in der Lobau könnte man tatsächlich quer über die Äcker marschieren, und sich durchs Unterholz im Wald kämpfen. Auf diese Weise sollte es tatsächlich möglich sein, die eher wild verlaufende Grenze ziemlich genau nachgehen zu können. Das war aber von Anfang an keine Option für mich. Erstens hätte sich die Dauer der ganzen Aktion dadurch empfindlich verlängert und zweitens ist die Lobau ein Nationalpark, in dem selbstverständlich ein Wegegebot besteht, gegen welches ich nicht verstoßen wollte. Im Bereich der Donau kann man die exakte Grenze großteils nur mit Respektabstand erahnen, weil diese entweder in der Mitte des Stroms verläuft oder entlang des Ufers. Lediglich im Bereich des Ölhafens war der Abstand zur Grenze unnötig groß. Ich hätte nämlich vom Ölhafen zurück zum Ende der Donauinsel laufen können und von dort weg möglichst nahe am Donauufer. Auf diesen mehr als sieben Kilometer langen Umweg verzichtete ich aber (aus offensichtlichen Gründen) und bin von der Walulisobrücke kommend direkt rechts abgebogen. Damit kann ich gut leben. Von der Brigittenauer Brücke bis zur Alten Donau waren Abweichungen wasserbedingt wiederum nicht zu vermeiden, da fällt mir zur gelaufenen Route keine Alternative ein. Im Bereich Süßenbrunn waren einerseits große Industriegelände im Weg, andererseits machte die Nordautobahn Umwege erforderlich. Wie bereits beschrieben sind lediglich die beiden Hacker östlich von Essling zwei Schönheitsfehler, die mich im Nachhinein ein wenig ärgern, weil sie halt komplett unnötig waren. Was soll’s, ein zweites Mal laufe ich die Runde deswegen sicherlich nicht. Aber abgesehen davon passt das schon. Würde man wesentlich mehr Zeit für die Umrundung der Donaustadt veranschlagen, könnte man vermutlich da und dort näher an die jeweiligen Grenzen herankommen, aber ich wollte aus der Routenplanung weder eine Wissenschaft machen, noch wollte ich mich strafbar machen wegen Hausfriedensbruch oder Ähnlichem. 

Wie bei den meisten anderen Bezirksumrundungen vertrieb ich mir auch dieses Mal mit Podcasts die (in diesem Fall ziemlich lange) Zeit. Gestartet bin ich mit „Laufendentdecken“ (Flo Grasl und Tom Wagner berichteten über ihre PTL-Teilnahme im Rahmen des heurigen UTMB). Danach folgte zur Abwechslung die neue Folge von „Reiter und Klenk“ (Was passiert in Gräbern? Ich habe gelernt, dass Eingraben viel umweltfreundlicher ist als Kremieren). Ungefähr als ich die Donau erreichte, ging es weiter mit „Bestzeit“ (diverse Aspekte um das Thema Marathon wurden besprochen, danach folgte ein Interview mit dem recht gut marathonlaufenden Ärztemodel, deren Namen ich schon wieder vergessen habe). Irgendwann auf der Donauinsel war „Trailfunk“ der nächste Podcast auf meiner Playlist (ein deutsches Trailrunning-Ehepaar wurde interviewt…war mäßig interessant). Es folgte ein Wechsel zum Radsport in Form von „Sitzfleisch“ (ein wesentlich unterhaltsameres Interview von zwei TCR-Teilnehmern stand im Fokus). Danach – ich war bereits irgendwo bei Süßenbrunn unterwegs – ging es noch ein letztes Mal ums Laufen, „Höhenmeter pro Kilometer“ stand nun auf meinem Programm (viel Blabla, an das Hauptthema kann ich mich nicht mehr erinnern). Als Nächstes drehte es sich um die österreichische Innenpolitik, im Rahmen von „Scheuba fragt nach“ (beim AMS-Chef Johannes Kopf). Und wenn ich nichts vergessen habe, hörte ich danach die neueste Folge vom „Happy Day Podcast“. Allerdings nicht sehr lange, weil die Bluetooth-Kopfhörer wurden leer und ich musste sie in das Lade-Case stecken um sie aufzuladen. Nach einiger Zeit probierte ich es wieder und hörte weiter, wirklich fesseln konnte mich die neue Folge aber nicht (Philipp Jordan war nicht dabei, was der Dynamik nicht wirklich zuträglich war). Der letzte Podcast, der mir entlang der Guntherstraße ein wenig half, war dann „Gemischtes Hack“. Aber ich war zu diesem Zeitpunkt einigermaßen gesättigt und nicht mehr aufnahmefähig. Die letzte halbe Stunde oder so bewältigte ich also in Stille.    

Noch ein paar Worte bezüglich Verpflegung und Ausrüstung: Mein Laufgewand war offenbar sehr gut gewählt. Es wurde am Abend kühl, aber in Bewegung war es eigentlich recht angenehm – weder war mir kalt noch war ich zu irgendeinem Zeitpunkt übermäßig verschwitzt. Lediglich das Stirnband ersetzte ich nach Sonnenuntergang durch eine Haube. Ich bin mit zweimaligem Auffüllen meiner Flasks gut durchgekommen, was bedeutet, dass ich etwa vier Liter getrunken habe (zusätzlich zum Inhalt der Flasks auch noch im Zuge des Auffüllens extra jeweils einen halben Liter) – gar nicht mal so viel, wenn man die Länge des Laufs berücksichtigt. Ohne den Getränkeautomaten am Bahnhof Süßenbrunn wäre es aber eventuell problematisch geworden. Ich hätte wohl noch zwei Gels mehr oder in irgendeiner Form feste Nahrung einstecken sollen. In den letzten 1 1/2 Stunden hatte ich nichts mehr zu essen, was ein wenig blöd war. Mein Magen hat da teilweise schon recht laut und ungeduldig gegrummelt – ich hatte nur gefrühstückt an diesem Tag und sonst nichts gegessen. Im Nachhinein ist man ja immer gescheiter, aber ich hätte in Süßenbrunn oder entlang der Wagramer Straße in einen Supermarkt einkehren sollen. Das hätte sicherlich nicht geschadet. Einen großen Fehler habe ich bereits am Anfang dieses Berichts angedeutet – die Powerbank blieb daheim. Etwa eine Stunde vor dem Ende der Runde hat sich der Akku meines Handys verabschiedet und ich war quasi off the grid. Das war grundsätzlich kein Problem, die Route war ohnehin auf meiner Uhr und eigentlich war die Navigation zu diesem Zeitpunkt absolut kein Problem mehr – ich war bereits auf der Guntherstraße. Allerdings hatte ich mich hinsichtlich meiner Rückkehr um ungefähr eine dreiviertel Stunde verschätzt. Daheim hat das vorübergehend für eher schlechte Laune gesorgt (Euphemismus-Alarm!). Das ist ziemlich blöd gelaufen und sollte ich in Zukunft erneut so eine Unternehmung wagen, werde ich mir vorher ein superleichtes Ersatzhandy zulegen, mit dem man telefonieren kann und sonst nix.  

Damit wäre wohl alles geschrieben, was es im Zusammenhang mit der Donaustadt-Umrundung zu erzählen gibt. Schön war die Runde ehrlich gesagt nicht. Wenn ich an die anderen langen Runden zurückdenke, hatten die meisten davon deutlich mehr zu bieten – die Umrundungen der Leopoldstadt und von Favoriten waren ähnlich fad, aber klarerweise viel kürzer. Wobei man fairerweise anmerken sollte, dass jener Teil, der landschaftlich tatsächlich interessant war, in meinem üblichen Laufrevier liegt. Folglich kenne ich hier jeden Stein und jeden Baumstumpf. Wäre das nicht so gewesen, hätte ich mich sicherlich über die schöne Herbstkulisse in der Lobau gefreut. Einen weiteren Text werde ich wohl noch verfassen, um dieses ganze Projekt ein wenig zusammenzufassen und würdig abzuschließen. Fast ein Jahr lang geisterte dieser Lauf nun in meinem Kopf herum. Jetzt liegt er hinter mir. Endlich. 

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